VORSICHT: Baustelle

300 Jahre Matthäus-Kirche in Zell

Sanierungsfall Matthäus-Kirche: Moos auf dem Dach, abgebröckelter Putz am Turm

Zell, So., 24. Sept. 2017. Mal wieder Hochstimmung im Zeller Grund! „Liebe Matthäus-Kirche, erhabene, würdige Dame“, so adressiert eingangs des Festgottesdienstes Pfarrer Markus Vaupel das 300 Jahre alt gewordene Geburtstagskind. Im Gebet wird er Gott für die drei Jahrhunderte danken, auch „für die Mütter und Väter des Glaubens, die hier ein- und ausgegangen sind.“

Am 27. April 1717 wurde ihr Grundstein gelegt, die Kirche am 21. November selbigen Jahres eingeweiht und nach dem Evangelisten Matthäus benannt. Ihr Vorgängerbau, um 1300 entstanden, dürfte wahrscheinlich abgebrannt sein. Nur der Turm mit seiner sog. "Welschen Haube" blieb erhalten. Nach X Renovierungen – 1821, 1902, 1957, zuletzt vor 30 Jahren – lassen sich die „Beschwerden im Alter“ nicht mehr übersehen: Risse innen, abgefallener Putz außen am Turm. „Es bröckelt an dir.“ Hausherr Vaupel packt in einer Art Zeichenhandlung aus einem Geschenkkorb Hammer, Meißel, Putz, Farbe und Pinsel aus. Leider fehlen darin bis dato „zwei Gs“: Geld und die entsprechenden Genehmigungen zur Sanierung. Die Mühlen von Denkmalschutz und kirchlichen Behörden mahlen eben recht langsam.

Selbstverständlich ist die Kirche an diesem Tag sehr gut besucht. Der Posaunenchor aus Holzhausen unter Leitung von Jürgen Koch unten vor dem Altarraum sowie der Projektchor, geleitet von Marina Skrzybski, oben von der Orgelempore herab, übertreffen sich schier an musikalischem Elan und Schall. Schon beim Einzug des Kirchenvorstandes samt Pfarrer Vaupel und der Festpredigerin, Regionalbischöfin Gisela Bornowski (Kirchenkreis Ansbach-Würzburg), präsentieren sie das eingängige Prelude aus dem „Te Deum“ von Marc-Antoine Charpentier, besser bekannt als „Eurovisionsmelodie“. Selbstverständlich dürfen Choräle wie „Tut mir auf die schöne Pforte, führt in Gottes Haus mich ein“ und „Ein feste Burg ist unser Gott“ aus diesem Anlass nicht fehlen.

Passend zum Jubiläum hat auch Regionalbischöfin für ihre Predigt Zeilen aus dem 1. Petrusbrief (2,4-6) ausgesucht: „Baut euch als lebendige Steine zum geistlichen Hause ...“. Nicht erst seit 300 Jahren, sondern bereits seit 2000 Jahren werde an der Kirche gebaut. Kirche bleibe immer eine Baustelle – dies im wortwörtlichen wie im übertragenen, geistlichen Sinne. „Wir sind nie fertig damit.“ Auch die Gemeinde habe sich in den letzten Jahren verändert, wovon Risse zeugten, z.B. die zwischen Einheimischen und Zugezogenen.

Gut aber, dass Kirche die Hand eines großen Bauherrn, -meisters und Architekten verrate: „Gott baut immer noch weiter an seinem Haus. Auch wir werden von Gott als lebendige, geistliche Steine ausgewählt. Er kann jede, jeden gebrauchen und will uns einfügen." Wir alle seien Unikate, vom Schöpfer so gewollt, eben jeder Stein anders, Teile eines größeren Ganzen, eingebunden in ein Haus, das wir nicht vollenden werden. „Kirche und Gemeinde leben vom Ineinander, Miteinander vieler lebendiger Steine“, wobei jeder Stein einen anderen trägt – bzw. erträgt! Dankenswerterweise gebe es immer wieder Menschen, die sich in ihrer Kirche engagierten und ihrer Gemeinde verbunden wüssten.

Aber bedeutet „lebendige Steine“ nicht einen Widerspruch? Steine sind doch totes Material. Ja, aber: „Nur Gott der Schöpfer kann sie lebendig machen mit seiner Auferstehungskraft.“ Daher die Frage: „Welcher Stein bin (folglich) ich im Bauwerk?“ Etwa ein Fels in der Brandung? Oder ein schiefer, wackliger Stein? Oder ein mittelgroßer, der für gleichmäßige Stabilität sorgt? Oder nur ein kleines Steinchen, mit dem aber das Mauerwerk geschlossen werden kann?

Und damit lenkt die Bischöfin recht anschaulich-konkret ihren Blick wieder auf die Kirchenbaustelle zurück: Ecken und Kanten, Risse und Spannungen im Mauerwerk blieben einfach nicht aus. Sie weist auf die Austrittswelle hin und darauf, dass Landgemeinden schrumpfen würden. Auch im sozialen Gefüge unserer Gesellschaft zeichneten sich Risse ab, ebenso weltweit, wovon Naturkatastrophen, Krieg und Terror zeugten. All dies könnte zwar ein Gefühl der Ohnmacht wecken, - trotzdem sollten wir sie „nüchtern zur Kenntnis nehmen“ und uns nicht entmutigen lassen, denn „wir haben ja einen lebendigen Eckstein: Jesus Christus.“ Er stabilisiere das Mauerwerk, „er gibt seiner Gemeinde Zusammenhalt.“

Abschließend der bischöfliche Appell: „Seid ein Gebäude, das offen, einladend bleibt! Seid Hoffnungszeichen in dieser Welt und ein geistliches Haus, das Gott bezeugt und ihm die Ehre gibt.“ Dazu passt trefflich inhaltlich das anschließende Gemeindelied („Die Väter weihten dieses Haus“): „Nun segne, Vater, dieses Haus, das wir nach dir, Herr, nennen; treib Feindschaft, Stolz und Zank hinaus, lehr uns dich recht erkennen.“

Den Grußwortreigen nach Gottesdienstende eröffnet Christine Bender, stellvertretende Landrätin des Kreises Schweinfurt, die zunächst für die „erbauliche (!) Predigt“ dankt. Ein Kirchenbau sei ein „sichtbarer Akt des Glaubens und Zeugnisses“. In einer schnelllebigen, weitgehend säkularen Welt brauche es solche Orte der Stille und Entschleunigung. Ferner betont Bender die gesellschaftspolitische Bedeutung der Kirche, denn sie habe das christliche Menschenbild nachhaltig geprägt und biete Orientierung für das Handeln des Einzelnen wie des Staates, speziell was den Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden anbelange. „Möge die Kirche ein frequentierter Ort in Zell bleiben.“

Der 2. Bürgermeister der Großgemeinde Üchtelhausen, Thomas Pfister, hält die Zahl 300 nicht für das Wichtigste. Wichtiger seien die Rückschau und der Blick nach vorn: So sei die Kirche vor Ort ein Stück Heimat. Und sie müsse an Jugendliche weitergereicht werden. Pfisters weiterer Wunsch: dass die Ökumene nach vorne gebracht und gelebt werde. Als „drittes G“ neben den „zwei Gs“ des Pfarrers nennt er die (politische) Gemeinde und überreicht ein Geldkuvert, bestimmt für Investitionen in die Jugendarbeit.

„Veränderungen gehören zu unserer Kirche.“ Landessynodale Renate Käser berichtet über ihre Synodenarbeit, insbesondere über den aktuellen Prozess „Profil und Konzentration“. Kirche werde zwar immer kleiner, fuße aber stärker denn je auf haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitenden.

Und Pfarrer Stefan Bonawitz (Pfarrei Lauertal I) überbringt Grüße von den benachbarten Lauertal-Gemeinden: 300 Jahre habe man hier in dieser Kirche Zuflucht finden können, aber nicht nur vor äußeren Bedrohungen wie Überschwemmungen, sondern vor allem im Glauben und im Herzen. Bonawitz zitiert den tröstlichen Wochenspruch: „Alle eure Sorgen werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“

Den Abschluss bilden die Kinder vom Zeller Naturkindergarten. Aus vollen Kehlen singen sie als Geburtstagslied den Ohrwurm: „Komm, bau ein Haus, das uns beschützt ...“ Dann aber geht‘s endlich hinaus in einen zwar trüben, aber regenlosen Tag. Sicherheitshalber wurde ein Zelt errichtet, um ungestörten Geburtstagsfestbetrieb, mit deftigem Essen versteht sich, rund um das Ensemble von Kirche, ehemaliger Schule und Pfarrhaus zu garantieren. Zunächst einmal: Auf die nächsten 100 Jahre!