Zehn Thesen zum Thema "Armut und Kirche"

1. Im Dekanat Schweinfurt leben viele Menschen in Armut und sozialer Ausgrenzung.


• Besonders betroffen sind Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende und Migranten.
• In Schweinfurt sind besonders viele Kinder betroffen.
• Trotz sehr niedriger Arbeitslosenzahlen leben auch in den Landkreisgemeinden Menschen in Armut; hier sind es vor allem die Alleinerziehenden.
• In Armut leben Menschen die,

  zum einen durch Arbeitslosigkeit oder andere Ereignisse (Trennung, Krankheit) aus ehemals gesicherten und gefestigten  Verhältnissen in Not geraten sind; 
  zum anderen gibt es inzwischen in vielen Bereichen auch verfestigte Armutsstrukturen, teilweise über Generationen hinweg.                     

Typische Armutsfallen sind
1. Energiekosten/-schulden
2. Allgemeines Konsumverhalten (Ausgabeverhalten, das nicht an die finanziellen Mittel angepasst ist, und daraus folgend Ver- und Überschuldung)
3. Krankheit, Behinderung, Sucht
4. Bildungsdefizite
5. Familieninstabilität, Trennung und Scheidung
6. Einsamkeit und Isolation
7. Arbeitslosigkeit und prekäre Arbeitsverhältnisse

 

2. Das Thema berührt die Kirchengemeinden auf sehr unterschiedliche Weise.


• Das kirchliche Leben in den Kirchengemeinden wird in der Regel von Menschen in den mittleren und oberen Milieus der Gesellschaft bestimmt und getragen. Die Lebensrealität von Menschen, die in Armut leben, ist häufig nicht aus eigenem Erleben oder unmittelbarer Wahrnehmung bekannt.
• Dennoch dringt die Problematik immer wieder ins Bewusstsein der Aktiven und Verantwortlichen in den  Kirchengemeinden. Nicht gezahlte Kindergartenbeiträge, die Absage der Teilnahme an Konfirmandenfreizeiten sind z.B. deutliche Hinweise auf die Armutsproblematik in der eigenen Kirchengemeinde. 
• Es gibt aber auch Stadtteile und Gemeinden, in denen sich soziale Probleme konzentrieren. Dort sind auch die Probleme und Nöte der Menschen in Armut sehr viel unmittelbarer Thema im kirchlichen Leben.

 

3. Die Aussage Jesu „Arme habt ihr alle Zeit bei euch“ trifft auch heute in all unseren Kirchengemeinden zu.


• Ob Menschen arm sind, ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar.
• Vor allem im ländlichen Bereich fürchten viele Arme als solche stigmatisiert zu werden. Sie sind daher sehr bemüht, nach außen den Anschein geordneter finanzieller Verhältnisse aufrecht zu erhalten.

 

4. Es ist wichtig, sich um die Armen zu kümmern, doch es kommt darüber hinaus darauf an, sie in die Gemeinden zu integrieren.

• Kirchengemeinden kümmern sich auf vielfältige Weise um Arme und Bedürftige. Dazu gehören z.B. direkte materielle Hilfe, Versorgung mit Lebensmitteln der „Tafel“, reduzierte Kasualgebühren oder Zuschüsse für Konfirmandenfreizeiten.
• Arme werden zumeist nicht als der Kirchengemeinde zugehörig wahrgenommen, sondern eher als randständige Gruppe. Damit werden sie auf den Status festgelegt,  Objekte von Betreuung und Wohltätigkeit zu sein.

 

5. Um Kirche „für alle“ zu sein, brauchen wir auch die Armen als vollwertige Mitglieder unserer Gemeinden.

• Die Haupt- und Ehrenamtlichen in unseren Kirchengemeinden gehören in der Regel dem Mittelstand an. Nur selten finden sich z.B. in Kirchenvorständen Menschen mit einem höheren oder niedrigeren sozialen Status.
• Da das Sein das Bewusstsein bestimmt, sind die Angebote der Kirchengemeinden überwiegend mittelstandsorientiert. Das gilt sowohl für die klassischen Frauen- und Seniorenkreise als auch für die neueren Veranstaltungsformen (Mehr-Weg-Gottesdienst).
• Man bleibt also unter sich, als „Kirche für sich“. In Kirchengemeinden, die sich damit nicht zufrieden geben und „Kirche für andere“ sein wollen, bemüht man sich um Unterstützung für die Armen, die aber die „Anderen“ bleiben.

 

6. Die Erkenntnis, dass die Spaltung von Armut und Wohlstand sich in verschiedenen Milieus verfestigt, ermöglicht es, Menschen in ihren Milieus wahrzunehmen und zu verstehen.

Neben der rein materiellen Spaltung in Wohlhabende und in von Armut Betroffene haben  haben sich in unserer Gesellschaft sehr unterschiedliche soziale Milieus entwickelt. Milieus fassen Gruppen Gleichgesinnter zusammen, die jeweils ähnliche Werthaltungen, Prinzipien der Lebensgestaltung, Beziehungen zu Mitmenschen und Mentalitäten aufweisen. Diejenigen, die dem gleichen sozialen Milieu angehören, interpretieren und gestalten ihre Umwelt in ähnlicher Weise und unterscheiden sich und grenzen sich dadurch von anderen sozialen Milieus ab.
So kommt es, dass eine bestimmte Ausprägung kirchlichen Lebens für die Einen als selbstverständlich und nicht anders praktizierbar erlebt wird, aber auf Menschen aus anderen Milieus unverständlich, uninteressant und fremd wirkt.
Um zu verstehen, warum viele Menschen, die von Armut betroffen sind, am kirchlichen Leben eher  nicht teilnehmen, ist offenes, unvoreingenommenes Interesse an den  Lebensumständen, Interessen, Wünschen und Nöten von Menschen in Armut notwendig.

 

7. Das Evangelium, in dessen Dienst die Kirche steht, ist eine Frohe Botschaft für alle Menschen.

• Jesus hat Milieuschranken überwunden und Menschen aus ihrer Verhaftetheit an einen sozialen, religiösen oder gesellschaftlichen Status befreit. 
• In der Nachfolge Jesu darf das Evangelium nicht an Voraussetzungen, wie Zugehörigkeit zu einem Stand oder einem Milieu, gebunden werden.
• Alle Angebote der Kirchengemeinden sind kritisch darauf hin zu überprüfen, ob und  inwieweit sie diesem Anspruch gerecht werden. Die unterschiedlichen Anliegen der  Gemeindemitglieder sollten im Blick sein. Armut und Reichtum sind auch ein Thema   für Predigten und in Gemeindekreisen.
• Arme Menschen sind nicht nur Bedürftige, sondern Menschen, die auch Begabungen und Fähigkeiten haben. Wenn sie ihre Talente einbringen können, wird das Gemeindeleben bereichert.
                                                                                                                  

8. Armut ist eine gemeinsame gesellschaftspolitische Aufgabe von Kirchengemeinden und Diakonie.

• Das Wirken der Diakonie ersetzt nicht das Aktivssein in den Kirchengemeinden gegen Armut und die Öffnung der Angebote für Menschen aus Armutsmilieus.
• Die Kirchengemeinden brauchen bei ihren Aktivitäten die professionelle Hilfe und das Know-how der Diakonie in der Armutslinderung und –bekämpfung.
• Die Auseinandersetzung mit dem Thema Armut macht immer auch eine Beschäftigung mit den gesellschaftlich-politischen Ursachen notwendig. Kirche und Diakonie sind gemeinsam gefordert, soziale Ungerechtigkeiten und Notlagen wie auch politische Verantwortlichkeiten zu benennen.

 

9. Als Vorschein des Reiches Gottes sind die Kirche und die Kirchengemeinden Lebensraum für alle Menschen.

• Die ersten Christen wirkten auf ihre Umwelt überzeugend, weil sie miteinander teilten und solidarisch füreinander einstanden.
• Die Freiheit des Christenmenschen ermöglicht uns, vorbehaltlos auf die Menschen  zuzugehen und alle zu uns einzuladen.

 

10. Was tun?

0  Als Anwalt der Armen setzt sich die Kirchengemeinde für deren Teilhabe an der Gesellschaft und für soziale Gerechtigkeit ein. Beispielhaft dafür war das Engagement für die Einführung eines Sozialpasses.
 0 Ein wesentliches Ziel der Gemeindeentwicklung ist die Bereicherung der  Kirchengemeinde durch die Beteiligung der Armen. Die Gemeindeleitung befördert  dies durch Projekte, die den Verhältnissen und Möglichkeiten der jeweiligen  Kirchengemeinde entsprechen.
0  Die Dekanatssynode wird in ihren Sitzungen das Thema „Armut und Kirche“  regelmäßig zum Thema machen und z.B. „best practice“-Beispiele aus den  Kirchengemeinden aufgreifen.

Kathi Petersen / Uwe Kraus