Vesperkirche hat Zenit überschritten

Flüchtlings- und Asyldiskussion am Abend

Kaffeetransport durch Christa Holzheid, Frau des Cheforganisators

Schweinfurt, 29. Januar 2015. Am Mittwoch „feierte“ das Vesperkirchen-Projekt nach 11 Tagen Halbzeit. Unvermindert groß ist der Run auf die äußerst preiswerten Tagesmenüs. Die Zahl der ausgegebenen Bons bleibt pro Tag stabil bei knapp unter 500. Mehr Kapazitäten haben die Essenszulieferer vom Leopoldina und Löhe-Haus nicht und wohl auch die unzähligen freiwilligen Helferinnen und Helfer nicht. Der Arbeitsablauf ist inzwischen eingespielt, fast Routine, jeder Handgriff sitzt, jeden Tag aufs Neue dieselbe Arbeit.

Am Donnerstag sprach der katholische Geistliche Joachim Morgenroth von der Pfarreiengemeinschaft Schweinfurt-Zentrum das „Wort in der Mitte“. Er las die Abendmahlsworte nach der Version des Apostels Paulus vor (1. Korinther 11,23ff.). Früher habe man „zu Tische gelegen“. Der Tisch sei später aus der Lebenspraxis in die Kirche mitgenommen worden. So erinnere der Altartisch, „an dem wir Gemeinschaft haben“, an Jesu Abendmahl. „Gott ist in unserer Mitte und sagt: Ich sorge für euch.“

Am Abend war in der Kirche der zweite Kultur-Donnerstag angesagt: diesmal ein Talk zur aktuellen Flüchtlings- und Asylproblematik, moderiert von Pfr. Jochen Keßler-Rosa. Zwei Einzelschicksale, sozusagen verkörpert durch zwei junge Zeitzeugen, wurden dem interessierten, am Ende tief beeindruckten Publikum „im Zeitraffer“ (Keßler-Rosa) vorgestellt.

Roni Amro, zurzeit in Sennfeld wohnhaft, stammt aus Syrien, ist ethnisch Kurde und von seiner Religionszugehörigkeit Jeside. Diese religiöse Minderheit, unter anderem in Nordsyrien und der südöstlichen Türkei beheimatet, wird derzeit von den ISIS-Terroristen gezielt verfolgt und auszurotten versucht. Da Amro keinen Armeedienst leisten wollte, galt er als Deserteur und wurde außerdem vom syrischen Assad-Regime verfolgt, befand sich also zwischen beiden Fronten.

Seit März 2011 befand er sich auf der Flucht, die ihn von Syrien zunächst in die Türkei führte. „Ich habe dem Tod in die Augen gesehen“, bekannte Amro, als er detailliert schilderte, wie er, von der türkischen Polizei verfolgt, den Grenzfluss zwischen der Türkei und Griechenland durchschwommen hat. Dank der Hilfe von Freunden gelangte er schließlich von dort nach Deutschland und hat nun hier erst einmal eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Er macht dieser Tage seinen Berufsschulabschluss und absolviert ein Praktikum in einem Elektrobetrieb. Seine persönliche Zukunft sieht er in Deutschland.

Der 24-jährige Mohamed Abdifatah kommt aus Somalia, war dort Journalist und hatte bei einer Radiostation gearbeitet. Auch er geriet zwischen zwei Fronten: die Regierungstruppen im Kampf gegen radikal-islamistische Milizen. Zwei Jahre lang, ab 2009, dauerte seine Flucht. Von den beiden Möglichkeiten, entweder über Libyen nach Italien oder über Syrien in die Türkei zu gelangen, wählte er die letztere, vermeintlich leichtere. Von der Türkei aus kam er mit einem kleinen Boot, besetzt mit 27 anderen Flüchtlingen, unter denen sich jedoch kein erfahrener Seemann befand, auf wundersame Weise nach Griechenland und wurde dort ein halbes Jahr inhaftiert. Weitere Stationen danach waren Paris, Gießen, Zirndorf und schließlich Schweinfurt. Hier will er sein Abitur im Bayernkolleg machen. Inzwischen hat Abdifatah auch seine Frau nach Schweinfurt nachgeholt und erzählt stolz über die Geburt ihres Kindes im St. Josef-Krankenhaus.

Zwischen den Vorträgen spielte der aus dem Iran stammende und jetzt in Sennfeld lebende Kaveh Taghizadegan meditative Stücke auf der Tar, laut Wikipedia eine gezupfte Langhalslaute, vornehmlich im Iran beheimatet.

Pfr. Keßler-Rosa konnte noch zwei weitere Gesprächsteilnehmer begrüßen: Karin Deraëd, Referentin für Brot für die Welt der Diakonie Bayern, und Folker Quak, leitender Redakteur der Mainpost. Laut Frau Deraëd gibt es weltweit 55 Millionen Flüchtlinge, wovon 80 Prozent Binnenflüchtlinge im eigenen Land sind. Sie wies auf die Unterstützung von Flüchtlingscamps und Flüchtlingen durch Brot für die Welt und die Katastrophenhilfe der Diakonie hin. In Angola und Ruanda gebe es Projektbeispiele von Brot für die Welt, um Menschen in ihrer Heimat Perspektiven zum Bleiben zu schaffen.

Redakteur Quak argumentierte sehr pointiert: Die Europa-Flüchtlingspolitik sei ein Desaster. Sie schütze letztlich nicht die Flüchtlinge, sondern zwinge sie, über abenteuerliche (See-)Wege zu uns zu kommen. Die Entwicklungshilfe der EU sei äußerst gering; stattdessen würden Grenzbefestigungen zu Nicht-EU-Staaten mit finanziert, meterhohe Zäune etwa zwischen Rumänien und Griechenland. Dadurch schotte sich Europa immer mehr ab. Die Europäische Union solle mit Verve Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit durchsetzen. So kritisierte Quak auch, dass die Asylbewerber nicht arbeiten dürften.

Abschließend wartete Diakonie-Vorstand Keßler-Rosa noch mit einer guten Nachricht auf: vom erfolgten Schulterschluss zwischen Diakonischem Werk und Caritas, was die Sozialberatung in der bevorstehenden Asylbewerber-Erstaufnahmeeinrichtung in Schweinfurt anbelangt.