Synodenbericht I/2012: Ehrenamt und Armut in der Kirche

Sennfeld,  21. April 2012. Am 21. Oktober finden bayernweit in allen evangelischen Kirchengemeinden Neuwahlen zum Kirchenvorstand statt. Genau ein halbes Jahr vorher befasste sich damit die Frühjahrstagung der Dekanatssynode Schweinfurt im „Senntrum“ der evangelischen Kirche Sennfeld unter der Überschrift „Ich glaub, ich mach’s!“, als Variante des offiziellen Kirchenvorstandswahl-Mottos „Ich glaub, ich wähl’!“. Natürlich ging es um die Gewinnung von Kandidierenden, generell aber um ehrenamtliches, kirchliches Engagement.

Das Kirchenbild ist im Umbruch begriffen: Wurde lange Zeit Kirche als Institution wahrgenommen, dann als Organisation, so will sie sich jetzt als Netzwerk verstehen. „Netzwerkorientierte Gemeindeentwicklung“ lautet die Zukunftsstrategie mit Blick über den Kreis der Mitarbeitenden und über die Grenzen zwischen „Kerngemeinde“ und „Distanzierten“ hinaus.

In seiner Andacht führte der stellvertretende Dekan Pfr. Jochen Wilde (Bad Kissingen) die rund 50 erschienenen Synodalinnen und Synodalen aus den 27 Dekanatsgemeinden und den Diensten und Werken, mehrheitlich ehrenamtlich engagierte Laien, in die Thematik ein: „Paulus – der erste Netzwerker der Menschheitsgeschichte“! Dieser Apostel habe bereits moderne Kommunikationsformen genutzt, vor allem durch seine Briefe ein weit gespanntes soziales Netzwerk mit echten Freunden aufgebaut, das ihn getragen und an dem er ständig weitergeknüpft habe. Paulus sei ein ehrenamtlicher Teamarbeiter gewesen, für jedermann aufgeschlossen und zu den Leuten hingegangen – und zwar weltweit. Er habe lokal gearbeitet, aber in globalen Dimensionen gedacht. Letztlich sei sein Missionserfolg der Erfolg seines Netzwerkdenkens gewesen.

Diakon Ulrich Jakubek, Geschäftsführer und stellvertretender Leiter des Amtes für Gemeindedienst in Nürnberg, begleitete fachlich die Sitzung. Zunächst ließ er in mehreren Gesprächsrunden an den einzelnen Tischen drei Impulsfragen diskutieren: „Was hat Sie bewogen, sich in der Kirche zu engagieren?“ „Was würde Sie oder andere veranlassen aufzuhören?“ „Was ist Ihnen an den fünf Ehrenamts-‚Bs’ (bewerben – beginnen – begleiten – bezahlen – beenden) besonders wichtig?“ Anschließend wurden die Ergebnisse im Plenum präsentiert: Viele sehen im Ehrenamt die Möglichkeit aktiven Mitgestaltens und Veränderns oder der Übernahme von Verantwortung. Aber sie würden es sofort niederlegen, wenn sie keine Anerkennung für ihre Arbeit erhielten oder ihre Gestaltungsfreiheit aufgrund totaler Vereinnahmung zu stark eingeengt würde und sie deshalb keine Lust oder Freude mehr verspürten. Auch äußere Faktoren, wie berufliche Veränderung oder Erkrankung, können zur Aufgabe des Ehrenamtes führen.

Die Synodalen regten an, für Ehrenamtliche in den Gemeinden regelmäßig Fortbildungsmöglichkeiten anzubieten und sie auch „auf Augenhöhe“ zu begleiten, etwa in Form eines Jahresgesprächs mit Hauptamtlichen. Des Weiteren müssten ihre Abgabenbereiche klar definiert und abgegrenzt sein. Ein Mitarbeitendenjahresempfang wurde genauso begrüßt wie die Überreichung von Urkunden für langjährige Mitarbeiter. Auch habe eine offizielle Einführung von Ehrenamtlichen ebenso wie eine adäquate Verabschiedungsgeste zu erfolgen. Ihre Tätigkeit müsse „ein gutes Ende finden“, um auch rechtzeitig Chancen zur Nachfolgeregelung zu bieten.

In seiner Powerpointpräsentation ging Jakubek auf Wandlungen, den sog. Paradigmenwechsel, im Ehrenamt ein. Er kontrastierte das traditionelle, klassische mit dem neuen, freiwilligen Ehrenamt. Während für ersteres die Identifikation mit der Institution Kirche und selbstloses Handeln bis hin zur Aufopferung, natürlich unentgeltlich, selbstverständlich gewesen sei, diene das neue Ehrenamtsverständnis eher der Selbstfindung und Selbstverwirklichung. Es müsse biografisch und zeitlich stimmig sein, darüber hinaus Freude und Spaß bereiten. Ferner werde jetzt nicht nur einseitig das Geben, sondern auch das Nehmen, inklusive eines Honorars, groß geschrieben. Statt Laientätigkeit sei stärker (Semi-)Professionalität gefragt.

Als die drei Hauptmotive für die Übernahme eines kirchlichen Ehrenamtes nannte Jakubek Gemeinschaftsinteresse, Suche nach Spiritualität und den Wunsch, sich zu engagieren. „Am besten wäre es, wenn jemand alle drei in sich vereinigen würde.“ Abschließend empfahl er, im Dekanat ein Ehrenamtsnetzwerk aufzubauen. Derzeit lasse sich Diakon Norbert Holzheid zum Ehrenamtskoordinator ausbilden.

Im Informationsteil lud Dekan Oliver Bruckmann zum Kirchenvorsteher- und Vertrauensleutetag am 10. Juli ins evangelische Gemeindehaus ein (18.00-21.00 Uhr). Zum anderen sprach er über das landeskirchliche Projekt „gerne evangelisch“. Dabei befasse sich das Dekanat Schweinfurt schwerpunktmäßig mit der Frage der Mitgliederbindung: „Warum muss man in der Kirche sein?“ Auf dem Prüfstand stünden das Erscheinungsbild der Gemeindebriefe und Kirchen-Homepages sowie die Besuchs- und Kasualienpraxis. In Kürze werde im Dekanat auch eine vom Meinungsforschungsinstitut Emnid durchgeführte telefonische Befragung von aus der Kirche Ausgetretenen gestartet mit anschließender Auswertung der vorgebrachten Gründe.

Landessynodalin Renate Käser berichtete über die Synodenbeschlüsse der  Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern. Das Kirchenparlament habe auf seiner Frühjahrstagung  in Augsburg (18.-22. März 2012) eine Verfassungsänderung hinsichtlich des christlich-jüdischen Verhältnisses verabschiedet. Nun stehe im Grundartikel, dass die evangelisch-lutherische Kirche „aus dem biblischen Gottesvolk Israel hervorgegangen“ sei und „mit der Heiligen Schrift dessen bleibende Erwählung“ bezeuge. In einem weiteren Beschluss habe man das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Pfarrerinnen und Pfarrer im Pfarrhaus befürwortet, wenn sie in einer eingetragenen Lebensgemeinschaft leben und wenn Kirchenvorstand, Dekan, Regionalbischof und Landeskirchenrat einmütig dem Zusammenleben zustimmen.

Der letzte Sitzungsteil galt der Weiterarbeit am Thema „Armut und Kirche“, das im Zentrum der Herbstsynode 2011 gestanden hatte. Kathi Petersen und KASA-Chef Uwe Kraus präsentierten die Ergebnisse in Form eines Zehn-Thesen-Papiers (hier: Wortlaut der Thesen). Kritisch stellten sie fest, dass in der Regel die Kirchengemeinden „mittelstandsorientiert“ seien, man also unter sich bleibe und nur ansatzweise „Kirche für andere“ sein wolle. Sie forderten deshalb, in der Nachfolge Jesu und nach dem Vorbild der ersten Christen „Milieuschranken“ zu überwinden, „Anwalt der Armen“ zu sein und „vorbehaltlos auf die Menschen zuzugehen und alle zu uns einzuladen.“ Kirchengemeinden und Diakonie sollten dabei eng zusammenarbeiten. Jedenfalls stelle die Beteiligung der Armen mit ihren Begabungen und Fähigkeiten eine Bereicherung des Gemeindelebens dar.

Einstimmig machte sich die Dekanatssynode diese Thesen zu eigen. Alle Kirchenvorstände  wurden gebeten, sie wahrzunehmen, zu diskutieren und auch anzuwenden.