Der absolut parteiische Gott

Ökumenischer Gottesdienst zum Auftakt des KKW-Abschaltfestes

Nein, keine radioaktive Wolke über dem Abschaltfest; nicht einmal Regen gab's

Schweinfurt, 31.5.2015. Nach 34 Betriebsjahren soll es abgeschaltet werden. Aber noch ist das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld in Betrieb – angeblich bis zum 20. Juni. Trotzdem blies die Bürgeraktion „Umwelt- und Lebensschutz/Bürgerinitiative gegen Atomanlagen“ (BA-BI) ihr für den letzten Tag des Monats Mai 2015 geplantes Abschaltfest auf dem Schweinfurter Marktplatz nicht ab.

Da es darüber mehr als genug Berichte und Videos gibt und die Dekanatshomepage kein politisches Forum ist, soll an dieser Stelle vorrangig die „lockere Andacht“ zu Beginn, wie sie Pfarrer Franz Feineis betitelte, gewürdigt werden. „Ich hoffe, Dankbarkeit ist in euch drin“, rief er dem Publikum zu, für das er nur 100 Liedblätter hatte kopieren lassen. Gegen Ende mussten sich mindestens je zehn Leute eines teilen, und permanent kamen weitere hinzu; am Abend sollen es gar über 4000 gewesen sein.

Wichtig für Feineis war es, „auch Gott mit hineinzunehmen“ in diese Festlichkeit. Denn die Rückbindung an ihn sei bei derlei ausgelassenen Feiern nicht selbstverständlich. Deshalb zündete er auch demonstrativ eine Osterkerze an „zum Zeichen, dass da etwas anderes, ein anderer mit im Spiel ist.“ Sodann stellten einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer persönliche Rückblicke auf die regelmäßigen Andachten am KKW an: Seit April 1988 gibt es sie an jedem letzten Sonntag im Monat um 14.00 Uhr am Wegkreuz, dem „Franziskus-Marterl“ aus dem 17. Jh., vor dem Schutzzaun „mit den Geräuschen der Stromleitungen darüber“, wie eine Maria bekundete. Keine musste ausfallen. Zwar hätten sich bei schlechtem Wetter allenfalls fünf oder sechs Personen eingefunden; in der Regel aber zehn bis zwanzig, bei Highlights gar 500. Die Andachtstradition werde weiterhin beibehalten, solange vom KKW Gefahr ausgehe, denn sein Rückbau sei vielleicht gefährlicher als der bisherige Betrieb. Elmar Rachle bezeichnete sich als seit Anfang der 80er Jahre „im Widerstand“ befindlich und seitdem mehr und mehr sensibilisiert für Themen wie „Umwelt“ oder „Frieden“. Und „Urgestein“ Pfarrerin Eva Loos – wieder so eine Titulatur von Franz Feineis - erinnerte sich, wie damals vor dem Eingangstor die visionären „letzten sieben Tage der Schöpfung“ von Jörg Zink vorgetragen wurden (Text: http://www.joerg-zink.de/die-letzten-sieben-tage-der-schoepfung/). Wegen ihrer regelmäßigen Demo-Beteiligung sei sie sogar mit ihren Kollegen in heftigen Streit geraten.

Nun aber hielt die Pfarrerin der Schweinfurter Dreieinigkeitskirche im Rahmen dieser ökumenischen Feier die Predigt, adressierte die Versammelten als „Schöpfungsfreundinnen und -freunde“ und legte Worte des Paulus aus dem 1. Korintherbrief (1,18-25) aus, vor allem den Vers: „Die Botschaft, dass für alle Menschen am Kreuz die Rettung vollbracht ist, muss denen, die verloren gehen, als barer Unsinn erscheinen. Wir aber, die gerettet werden, erfahren darin Gottes Kraft.“ Loos stellte die „Kreuzeskraft“ der „Kernkraft“ gegenüber. Bei letzterem Begriff gehe es um den (Atom-)Kern, aus dem Energie gewonnen werde, letztlich nur aus Profit auf Kosten der Sicherheit. Macht, Geld und Gier machten eben blind für andere Arten der Energiegewinnung.

Gott hingegen sei „absolut parteiisch“ und allem Größenwahn von Forschung, Wissenschaft und Bankenwesen abhold. „Gott steht auf der Seite der Schwachen, Ohnmächtigen und derer, die keine Lobby haben.“ Ja, das Kreuz sei ein steter Stachel im Fleisch der Mächtigen. „Osterkraft steht hinter der Ohnmacht des Kreuzes“ - und „Sprengkraft“, denn auf Griechisch heiße „Kraft“: dynamis – Dynamit! Bezeichnenderweise gehe an besagtem Wegekreuz Jesu Blick vom AKW weg hin zu den Menschen. Es zeige symbolisch, wie Jesus am Kreuz ausharre. „Warum dann nicht auch wir? Gott sagt ein Ja zu uns: 'Ich halte hier aus; tut dies auch!'“ (s.a. https://www.schweinfurt-evangelisch.de/inhalt/doch-nicht-die-letzte-anda...). 

Den Text der angestimmten Gesangbuchlieder, begleitet von der Mainberger Blasmusik, hatte Pfr. Feineis teilweise umgeschrieben, etwa wenn es bei „Lobe den Herren“ nunmehr hieß: „In großer Not hat doch der gnädige Gott beschützt vor Atom und Quanten“ oder wenn er „Heut feiern wir das Abschaltfest, was da gescheh'n, das nicht vergesst!“ nach der Choralmelodie „Nun jauchzt dem Herren, alle Welt!“ singen ließ. Auch einen „Abschalt-Rap“ konnte er sich nicht verkneifen.

Im Fürbittengebet dankte man Gott zunächst für all die Menschen, die mit langem Atem und in Solidarität bis auf den heutigen Tag ausgeharrt haben, und auch dafür, dass kein wirklich großes Unglück vom Reaktor ausgegangen ist. In den Bitten drückte sich die Sorge um den Rückbau und um das bleibende Zwischenlager aus. „Möge die Verantwortung für die Schöpfung größer sein als Kostenersparnis.“ Und hinsichtlich des Atommüllproblems wurde darum gebetet, „dass es für Mensch und Natur verantwortbar bleibt“.

Im Gedenken an all die Engagierten, die inzwischen nicht mehr leben, und mit dem Segen für die Anwesenden beschloss Pfarrer Feineis den einstündigen Gottesdienst.

Gleich danach wurde es laut: „Hopp, hopp, hopp – Atomkraftwerke stopp“ und „Abschalten sofort“ So skandierte die Menge, und es wurde rein politisch, als das BA-BI-Organisationsteam die Moderation übernahm und das Programm des achtstündigen Festes bekannt gab: u.a. den Auftritt von 40 Künstlern – darunter Liedermacher Andreas Kümmert -, die auf ihre Gage verzichten würden, und fünf Wortbeitragblöcke.

Schirmherrin Gudrun Pausewang, die 1987 den erschütternden, warnenden Jugend-Bestseller „Die Wolke“ über einen Reaktorunfall verfasst hatte (Inhalt: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Wolke), sprach in ihrem Grußwort die Sicherheitslüge an, dass sich vielleicht einmal in 10.000 Jahren ein GAU ereignen würde. Zwei Reaktorkatastrophen innerhalb der letzten 40 Jahre, etliche Fastkatastrophen gar nicht mitgezählt, hätten die Unbeherrschbarkeit der Kernkraft bewiesen. Die 87-Jährige zeigte sich erleichtert darüber, dass bis 2022 alle Reaktoren in Deutschland abgeschaltet würden, appellierte aber an weiterhin nicht nachlassende Wachsamkeit.

Für die Kommune Schweinfurt ergriff Zweite Bürgermeisterin Sorya Lippert das Wort: Die Stadt begrüße ausdrücklich „den Wegfall des Standortnachteils“, dieses „Damoklesschwertes vor den Toren der Stadt.“

Landrat Florian Töpper pflichtete dem bei: „Die Region hat Grund zur Freude. Wir waren nie bereit, die Furcht vor dem Restrisiko zu akzeptieren.“ Nun hoffe er auf eine sozialverträgliche Abwicklung der Ruine. Leider habe man für den Umgang mit dem Atommüll noch keine Antwort gefunden. Somit bleibe der Landkreis Schweinfurt weiterhin Atomstandort.

Vielleicht sind aber nun doch mehr Pfarrerinnen und Pfarrer an freien Pfarrstellen im Dekanat interessiert?